Programm

07-12-2017 (Donnerstag)

"Es hat mir die Sprache verschlagen" - Der Schriftsteller Wolfgang Hildesheimer (1916-91) vorgestellt von Anna Dietrich und Gerold Ducke.

20:30

Schriftsteller zu werden war für ihn keine Lebensentscheidung, sondern ein Schicksal auf Zeit, eine Chance, zu sagen, was es zu sagen gibt, und zu schweigen, wenn es gesagt ist. Aber solange er schrieb, beharrte er darauf, dass die Wahrheit sich nur dichterisch erfinden lasse. 

Wolfgang Hildesheimer, 1916 als Sohn jüdischer Eltern in Hamburg geboren, emigrierte 1933 nach Palästina, war von 1946 bis 1949 Simultandolmetscher im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess und lebte dann als Maler und Grafiker am Starnberger See und in München. Als ihm die Bundesrepublik immer unbehaglicher wurde, zog er 1957 in seine Wahlheimat nach Poschiavo in der Schweiz, wo er 1991 starb. 

Hildesheimer hat die deutsche Literatur um ein Arsenal von Sonderlingen, komischen Käuzen und scheiternden Helden bereichert. Er schrieb die "Lieblosen Legenden" (seine erste Buchpublikation 1952), Theaterstücke (Spiele, in denen es dunkel wird“, 1958) und Hörspiele („Prinzessin Turandot“, Hörspielpreis der Kriegsblinden 1955), den Roman "Tynset" (Büchnerpreis 1966), "Mozart" (1977, in viele Sprachen übersetzt) und die fiktive Biographie "Marbot" (1981) u.a. 

Danach sah er keinen Sinn mehr darin, Geschichten zu erfinden, und beschäftigte sich nur noch mit Zeichnungen und Collagen. Der Zug der menschlichen Zivilisation, davon war er überzeugt, rase dem Abgrund entgegen. Die letzte Gelegenheit, die Notbremse zu ziehen, sei längst versäumt. Wolfgang Hildesheimer zog die Konsequenz: "Ich werde jetzt schweigen."