10-11-2015 (20:30)
"Das ist ein heißkaltes Buch, in dem der vielbeschworene Tanz auf dem Vulkan der Berliner zwanziger Jahre als ein grotesker Reigen auf dem Eisberg vor Augen tritt. Soweit Yvan Goll nicht fortlebt als Dichter der Liebe in den sarkastisch genialischen Erinnerungen seiner ihn bis 1977, um 27 Jahre, überlebenden Ehefrau Claire, jener Muse und Künstlerwitwe von Alma Mahlerschem Format, soweit existiert Yvan Goll bis in die Literaturgeschichten hinein nur noch als bedeutender Lyriker und sporadischer Dramatiker, Autor des frühabsurden Stücks vom 'Ewigen Bürger', dem Schuhwaren-Tycoon und Gulaschliebhaber namens 'Methusalem'.
'Sodom Berlin' ist ein Roman und darin eine essayistische, phantastische Revue, Pamphlet und Poesie, Lügenlyrik und prosaische Wahrheitsdichtung, ein Buch auch über Deutschland und die Hauptstadt Berlin im Zwischenreich der ersten Republik. Protagonist des Eis-Tanzes durch rund fünfzehn Jahre, bis 1928, ist das Phantom eines Ewigen Deutschen, genannt Odemar Müller, blond, blauäugig, Oberförstersohn, Corpsstudent mit Schmiss und Wagnerianer in Bonn am sehr deutschenRhein, Reaktionär und Romantiker, Soldat und nach dem Ersten Weltkrieg Freigeist mit Ehrgeiz in Berlin, Salonbolschewist, Frauenfänger und Sektenguru, in brotloser bodenloser Zeit ein Inflationsgewinnler und Weltflüchtiger, ein Peer Gynt im Westentaschenformat, kurzum: ein Fäustling des deutschen Nordens." Peter von Becker
Der zeitdiagnostische Roman von 1929 ist ursprünglich auf Französisch und 1985 (!) in der Übersetzung von Hans Thill erstmals auf Deutsch erschienen.