08-04-2016 (20:30)
Vorgestellt von Gesine Wulf und Jürgen Tomm
"Ich trinke Jägermeister, weil...“- die Werbekampagne, die den Kräuterschnaps in den frühen 70er Jahren zu Kultgesöff machte, ist die vielleicht bekannteste des jungen „Reklametexters“ Reinhard Siemes. Mit Kunden von Siemens bis Henkel, von Bayer bis Krass Optik ist sein „Büro für Werbung“, das er allein betreibt, später auf der Widenmayerstraße in München eine erste Adresse für kluge Texte und brillante Ideen. Der Mann verdient klotzig. Siemes wird Vorstandsmitglied, dann Präsident des Art Directors Club für Deutschland, er lehrt an Universitäten, hält Seminare, ist im 'Beirat Sprache' des Goethe-Instituts, schreibt für den Playboy, den Tagesspiegel und Fachzeitschriften.
Es ist nicht gerade Jägermeister, dem Siemes das alles nach und nach opfert, doch wenn es drauf ankommt, ist sein „Todfreund, der Alkohol“ auch nicht wählerisch. Und es kommt immer häufiger drauf an. Absturz und Entzug, Absturz und Entzug - die Kette der Katastrophen reißt Jahre lang nicht mehr ab. Ein entlegener Kurort in Slowenien und der Schutz einer liebenden Frau werden seine letzte Station. In diesem Buch erzählt Siemes in 56 „short stories“, in den Jahrzehnten springend, von den Stationen seiner doppelten Karriere: als „Reklametexter“ und als Alkoholiker.
Mit dem Buch fügt er den beiden Metiers posthum ein drittes hinzu: das des Erzählers auf hohem literarischem Niveau. Schonungslos gegen sich selbst, aber auch gegen schlechte Therapeuten und eine unsolidarische Gesellschaft. Nicht ohne Eitelkeit, aber gänzlich ohne Larmoyanz, mit sarkastischem Witz und scharfem Blick erzählt Reinhard Siemes für Trinker und Nichttrinker gleichermaßen spannend von seinen Begegnungen mit seinesgleichen, den Werbeleuten, den Trinkern, und mit seinem ganz persönlichen „Todfreund".